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Erster deutscher Motorflug

Ein Beitrag von Günter Matter.

Hans Grade entwickelte einen Zweitakt-Motor und baute ihn in einen selbst gebauten „Dreidecker“ ein. Damit machte er 1908 die ersten Flugversuche. 1909 errang er als Erster mit einem Eindecker den mit 40.000 RM dotierten „Lanz-Preis der Lüfte“.

Einer der ersten Motorflieger in Deutschland war Hans Grade (1879-1946), der 1908 in Magdeburg auf dem Krakauer Anger seine Luftsprünge demonstrierte.

Als Gymnasiast verfolgte Grade mit großem Interesse in seiner Heimatstadt Köslin (heute Koszalin/Polen) die Flugversuche von Otto Lilienthal (1848-1896) und bastelte erste eigene Flugmodelle.

Nach dem Abitur studierte Grade ab 1900 an der Technischen Hochschule in Berlin-Charlottenburg Maschinenbau. Während des Studiums arbeitet er an der Entwicklung eines Zweitaktmotors. 1904 kehrte er nach Köslin zurück, wo er als Konstrukteur einer kleinen Motorenfabrik seine berufliche Laufbahn begann. Der Magdeburger Unternehmer Oswald Hentschel wurde auf die Fähigkeiten von Grade aufmerksam und gründete mit ihm 1905 die Grade-Motorenwerke in Magdeburg. In der Firma wurden nach Grades Patenten Zweitaktmotoren gebaut.

Ab Herbst 1907 leistete Grade in Magdeburg seinen Militärdienst ab. Von seinem Vorgesetzten erhielt er die Erlaubnis, nachmittags in einem Schuppen der Kaserne eine Flugmaschine zu bauen. Als Autodidakt fertigte er aus Stahlrohr, Bambuslatten und Segeltuch einen Dreidecker mit einer Spannweite von 8 m und einer Flügelfläche von 25 m², den er mit einem selbst entwickelten Sechszylinder-Zweitaktmotor (36 PS) ausrüstete. Auch den Propeller, der einem doppelten Spaten glich, entwickelte er selbst.1 Ende September 1908 startete er seine ersten Flugversuche:

Die Schwierigkeiten bestanden nicht nur darin, den Motor im Fahren zu beherrschen, sondern auch in dem neuen Medium der Luft, in welchem der Apparat nach allen Seiten kippt. […] [Die ersten Sprünge endeten mit Unfällen], […] doch blieb der Fahrer ganz.2

Abb.: Hans Grade beim Flug zum Lanz-Preis, 1909 (Foto: Zeitschrift Illustrierte Aeronautische Mitteilungen)3

Nach der Reparatur, einer Vergrößerung der Tragflächen auf 50 m² und einer Verbesserung der Luftschraube gelangen Grade im Frühjahr 1909 Flüge bis zu 700 Metern. Als Flugplatz diente der Krakauer Anger, der Exerzierplatz der Magdeburger Garnison.

Der Dreidecker war schwer zu beherrschen, er flog nur geradeaus, der untere Flügel berührte beim Starten häufig den Boden und das Landen endete oft mit einem Überschlag. Beeindruckt von den Flugmaschinen von Alberto Santos Dumont (1873-1932) in Frankreich gab Grade die Weiterentwicklung des Dreideckers auf und baute einen Eindecker. Dieser war nun durch Verwinden des Schwanzendes steuerbar.

Zu dieser Zeit herrschte in Deutschland Luftschiffeuphorie. Die motorbetriebenen Flugmaschinen galten als exotische Sportgeräte für Tüftler ohne wirtschaftliche Bedeutung. Der Mannheimer Maschinenbau-Unternehmer Karl Lanz (1873-1921), Mitglied des Berliner Verein für Luftschifffahrt, sah das anders. Er hatte den Rückstand im Flugzeugbau gegenüber Frankreich erkannt und beschloss, den deutschen Flugpionieren einen Anreiz zu schaffen:

[Er stiftete] 40.000 Mark für einen ‚Lanz-Preis der Lüfte‘ […], daß nur solche Flugzeuge sich bewerben dürfen, die von Deutschen erbaut und in allen ihren Teilen in Deutschland hergestellt waren und von einem Deutschen geführt würden.4

Bedingung war, dass mit der Flugmaschine ein mit Wendepfählen im Abstand von 1.000 m gekennzeichneter Parcours als liegende Acht umflogen wurde.

Zu den Teilnehmern gehörte ganz selbstverständlich auch Hans Grade. Um sich auf diesen Wettbewerb vorzubereiten, brauchte er aber ein größeres Fluggelände als den Krakauer Anger in Magdeburg. Der Grundstücksmakler Rothgiesser überzeugte ihn, seine Flugversuche auf dem Heideplan in Bork (heute Borkheide) in der Nähe von Berlin fortzusetzen. Somit siedelte er samt Werkstatt nach Bork um.

Am 30.Oktober 1909 war es so weit. Nach Prüfung durch die Sportkommission auf dem Flugfeld Berlin-Johannisthal erfüllte Grade mit seinem Eindecker die geforderten Bedingungen. Mit großem Jubel umflog er die Wendepfähle und konnte nach der Landung aus der Hand von Dr. Lanz einen Scheck über 40.000 RM in Empfang nehmen. In der Folgezeit zeigte Grade seine Flugkünste in mehreren deutschen Städten und verdiente damit so viel Geld, dass er in Bork die Hans Grade Flieger-Werke aufbauen konnte. Hier baute er von 1910 bis 1914 etwa 80 Flugzeuge und eröffnete eine Flugschule. Damit war das Zeitalter des deutschen Flugzeugbaus eingeleitet.

In dem 1937 gedrehten Film Ziel in den Wolken über die Entwicklung des Flugplatzes Johannisthal spielte Hans Grade sich selbst und flog mit seinem alten Eindecker die Bedingungen des Lanz-Preises nach.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Werksanlagen von Grade enteignet. Erst nach seinem Tod (22. Oktober 1946) wurde das Werk seinen Erben zurückgegeben.

Abb.: Hans Grade fliegt 1934 mit seiner Fledermaus zum 25-jährigen Jubiläum des Lanz-Preis der Lüfte in Borg (Foto: Zeitschrift Der deutsche Sportflieger)5


Nachweise

  1. Italiaander, Rolf (1939): Der Lebensweg des ersten deutschen Motorfliegers – Hans Grade. Berlin: S. 37ff. ↩︎
  2. Grade, Hans (1909): Bericht im Verein Deutscher Flugtechniker. Flugsport: S. 671f. ↩︎
  3. Illustrierte Aeronautische Mitteilungen (1909): Heft 26. S. 965f. ↩︎
  4. Stade, Hermann (1921): 40 Jahre Berliner Verein für Luftschiffahrt. S. 26. ↩︎
  5. Der deutsche Sportflieger (1934): Heft 4. S. 5. ↩︎