Südlich der Altstadt von Oschersleben befindet sich ein unscheinbares, zweistöckiges Gebäude, dem nicht anzusehen ist, dass es früher einmal als Altenwohnheim gedient hat. Bis zum Jahre 1954 befand sich hier das Hospital St. Georg.
St. Georgenhospitäler entstanden im Mittelalter in vielen deutschen Städten. Sie befanden sich zumeist außerhalb der Stadtmauern und beherbergten oft kranke Menschen, die an ansteckenden und unheilbaren Krankheiten wie Lepra oder Pest litten.
Im St. Georgenhospital in Oschersleben sollen bereits 1219 etwa 20 bis 24 Personen gelebt haben. Sie erhielten kostenlose Verpflegung (Getreide), Heizung, Licht und in einem gewissen Umfang eine medizinische Versorgung. Neben dem Wohngebäude umfasste das Areal der Stiftung einen Garten, eine Kapelle und einen kleinen Friedhof. Im Hospital arbeiteten ein Hofherr, ein Küster, ein Hausmeister und eine Magd. Der Hausordnung des Jahres 1493 ist zu entnehmen, dass der Tag der Hospitaliten im Sommer um 04:00 Uhr mit dem Morgengebet begann. Zwischen 6:00 und 07:00 Uhr hielt der Pfarrer der städtischen Nicolaikirche in der Kapelle die tägliche Messe. An dieser hatten – bis auf die Kranken und Bettlägerigen – alle Bewohner teilzunehmen. Die Bewohner waren gehalten, sich höflich, züchtig und gottesfürchtig zu benehmen und keinerlei Streit zu suchen.
Der Aufenthalt der Menschen wurde über die Erträge aus dem Grundbesitz des Hospitals – dies waren im Jahre 1589 drei Hufen, also etwa 51 Hektar Acker –, aus ausgeliehenem Kapital sowie aus Spenden finanziert. Zudem unterstützte der Rat der Stadt Oschersleben, der die Verwaltung ausübte, die Stiftung finanziell. Schließlich hatten neue Bewohner bereits am Ende des 16. Jahrhunderts ein Eintrittsgeld zu entrichten. Das Hospital war – obwohl Pest und Cholera noch immer wüteten – zu einem Ort der Versorgung von alten Menschen während ihres letzten Lebensabschnittes geworden.
Bei der Kirchenvisitation von 1564 wurde u.a. festgehalten, dass im Hospital zwölf Personen lebten, die an jedem Sonntag in der Stadt bettelten. Bei der nächsten Visitation 25 Jahre später wurde u.a. bemerkt, dass das bischöfliche Amt eine Kammer mit zwei Betten für eigene Bedürftige in Anspruch nehmen konnte. Im Jahre 1668 übernahm der Rat der Stadt Oschersleben die Versorgung des zweiten in der Stadt vorhandenen Armenhauses, dessen Träger der Kalendsorden war. Das Haus war bei einer Feuersbrunst im März 1659 zerstört worden. Da der Orden zum Wiederaufbau nicht in der Lage war, schloss er mit der Stadt einen Vertrag, wonach diese sich zur Pflege der Armen und zum Wiederaufbau des Gebäudes, der 1669 stattfand, verpflichtete, wogegen die Bruderschaft ihr Vermögen der Stadt übereignete. Im Jahr 1806 legte die Stadt beide Häuser zusammen. Im Haus der Stiftung waren nun 19 Personen des St. Georg-Hospitals und fünf Kalandsarme untergebracht; das Gebäude des Kalands nutzte die Stadt fortan als Mädchenschule.
1865 stellte Bürgermeister Würfel u. a. fest, dass das St. Georgen-Hospital aus „einer große(n) Stube, eine(r) kleinere(n) als Krankenstube und 23 Kammern“ nebst dem dazugehörigen ca. einen Morgen großen Garten bestehe. Aufgenommen wurden alte und schwache Personen, die das 50. Lebensjahr überschritten hatten und nicht mehr in der Lage waren, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Die Aufzunehmenden mussten einen „unbescholtenen Lebenswandel“ haben. Sie hatten sich in eine Warteliste einzutragen und eine Aufnahmegebühr zu entrichten, die im 19. Jahrhundert für eine Stelle im St. Georgenhospital 31 Tlr. 22 Gr. 5 Pf. betrug. Für eine Stelle des Kalandsordens musste mit 16 Tlr. 10 Gr. etwa die Hälfte bezahlt werden.
Der Vorstand des Hospitals bestand aus fünf Mitgliedern: dem Bürgermeister der Stadt als Vorsitzendem, einem Stadtrat als Stellvertreter sowie drei weiteren Mitgliedern aus der Bürgerschaft, die vom Magistrat erwählt wurden.
Eine besondere Position nahm im 19. Jahrhundert der aus den Reihen der Hospitaliten gewählte Hausmeister ein. Er hatte täglich mindestens einmal eine Betstunde im Gemeinschaftsraum durchzuführen und wurde deshalb auch Vorbeter genannt. Ein Prediger aus der städtischen Nicolaikirche war nun entbehrlich.
Zwar wurde das Hospitalgebäude im Jahre 1876 wegen Baufälligkeit völlig neu errichtet, doch die weitere Modernisierung zog mit erheblicher Verspätung ein. Erst 1931 erhielt das Haus elektrisches Licht, drei Jahre später wurde es an die Kanalisation angeschlossen. Nachweisbar ist zudem, dass bereits 1937 bzw. 1938 im Hospital Vorbereitungen für einen Krieg getroffen wurden. Vorhänge für Verdunkelungen wurden gekauft und entsprechende Übungen durchgeführt. Obwohl Oschersleben während des Zweiten Weltkrieges mehreren Luftangriffen ausgesetzt war, überstand das Gebäude den Krieg unbeschadet.
Das Aus für die Stiftung kam in der DDR-Zeit. Im Zusammenhang mit dem Aufbau des Sozialismus in der DDR wurden auch viele nichtkirchliche Stiftungen aufgelöst. In einem ersten Schritt mussten alle Stiftungen beim Innenministerium in Berlin angemeldet werden. Die entscheidende Initiative wurde durch einen Erlass vom Oktober 1953 eingeleitet. In Ausführung dieses Erlasses forcierte der Rat des Bezirkes Magdeburg auch die Auflösung der St. Georg-Stiftung. Zunächst lehnte dies der Rat des Kreises ab, da die Stiftung ihren Zweck noch erfüllen könne und die gemäß § 87 BGB für eine Auflösung erforderlichen Tatbestände nicht vorlägen. Doch dem Druck des Rates des Bezirkes waren Landkreis und Stadt nicht gewachsen. Am 30. Juni 1954 fasste der Rat der Stadt Oschersleben „auf Anweisung des Rates des Bezirkes“ den Auflösungsbeschluss. Das Haus wurde fortan als kommunales „Feierabendheim“ geführt. Später wurde das Heim aufgelöst und das Gebäude als Wohnhaus für mehrere Familien umgebaut. So wird es noch heute genutzt.