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Die erste Flüssigkeitsrakete startete in Dessau

Ein Beitrag von Günter Matter.

Der Raketenpionier Johannes Winkler wollte beweisen, dass eine Flüssigkeitsrakete höher steigen kann als Pulverraketen. Mit seiner Testrakete HW-1 erreichte er am 18. April 1931 den ersten Höhenweltrekord mit einer Gipfelhöhe von 783 Metern.

In den 1920er Jahren entwickelten die Mitglieder des Vereins für Raumschiffahrt die Grundzüge der modernen Raketentechnik. An dem Projekt war auch der Ingenieur Johannes Winkler (1897-1947) beteiligt.

Die erste funktionierende Flüssigkeits-Rakete entwickelte Johannes Winkler 1931 in Dessau. Winkler war ein begeisterter Raketenpionier und gab ab 1927 die Zeitschrift die Die Rakete heraus.

Bei den Junkers-Flugzeugwerken in Dessau war man dabei eine Rakete als Starthilfe für Wasserflugzeuge zu entwickeln. Durch die Zeitschrift Die Rakete wurden die Junkers-Werke auf Winkler aufmerksam und ab September 1929 wurde Winkler als Versuchsingenieur bei der Firma in Dessau eingestellt. Seine Tätigkeit bei Junkers erlaubte ihm allerdings nicht, an seinem Traum einer sich vom Boden erhebenden Flüssigkeitsrakete zu arbeiten. Deshalb mietete er im Sommer 1930 in der Kochstedter Straße in Dessau eine kleine Werkstatt und tüftelte in seiner Freizeit mit an einer Flüssigkeitsrakete. Der Hutfabrikant Hugo A. Hückel (1899–1947), ein raumfahrtbegeisterter Mäzen, hatte über Die Rakete von Winklers Versuche erfahren und unterstützte ihn fortan. Deshalb wurde die erste Rakete HW-1 (Hückel-Winkler-1) genannt. Die 3 kg schwere Rakete konnte 1,7 kg Treibstoff aufnehmen.

Abb.: Der Mechaniker Richard Baumann bereitet den Start der ersten europäischen Flüssigkeitsrakete HW-1 vor (Foto: Horst Körner)1

Der erste Startversuch der HW-1 erfolgte im 21. Februar 1931 auf dem einstigen Exerzierplatz in Dessau-Großkühnau, wobei die Rakete allerdings nur eine Höhe von drei Metern erreichte. Ein zweiter Versuch am 14. März 1931 war erfolgreicher. Die HW-1 flog in einer schrägen Flugbahn ca. 200 m weit und erreichte eine Gipfelhöhe von 100 m. Winkler nannte diesen Flug die Geburtsstunde der Flüssigkeitsrakete. In dessen Auswertung entwickelte der Ingenieur innerhalb von nur vier Wochen eine weitere leistungsfähigere Rakete mit einer neuartigen Brennkammer, die als Urtyp der modernen Raketentechnik angesehen werden kann.

Winkler wollte beweisen, dass eine Flüssigkeitsrakete höher steigen kann und damit leistungsfähiger ist als Pulverraketen. Seine Vision war eine Rakete, die sieben Kilometer hochsteigen kann. Hierfür veränderte er die aerodynamische Form der Rakete und integrierte die Treibstoffbehälter und die Brennkammer in die Raketenhülle. Ein empfindlicher Barograph wurde in die Spitze der Rakete eingebaut, der im Scheitelpunkt der Flugbahn ausgestoßen und mit einem Fallschirm landen sollte. Drei Stabilisierungsflächen aus Elektronblech, einer besonders leichten Magnesiumlegierung, verringerten eventuelle Bahnabweichungen. Beim Aufstieg der Testrakete am 18. April 1931 konnte der erste registrierte Höhenweltrekord mit einer Gipfelhöhe von 783 Metern gemessen werden.

Auf Drängen Hückels kündigte Winkler seine Stelle bei Junkers und verlegte im Sommer 1931 seine Versuche auf den Raketenflugplatz Berlin. Anfang 1932 begann Winkler dort mit Prüfstandversuchen. Ende Mai 1932 war die HW-2 fertig. Sein Grundgedanke beim Entwurf der Rakete war es, das Leergewicht der Rakete so klein wie möglich zu halten. Daher bestand er darauf, Leichtmetalle und insbesondere das Elektron-Metall aus Bitterfeld einzusetzen. Das Massenverhältnis von Startmasse zur Leermasse der HW-2-Rakete (die Ziolkowski-Zahl in der Raketengrundgleichung) betrug 4,6 und braucht den Vergleich mit modernen Raketen nicht zu scheuen.

Der Raketenflugplatz Berlin war für den Start der HW-2 nicht geeignet. Ein neuer Startplatz wurde gesucht und man entschied sich für die Frische Nehrung, einer schmalen Landzunge in Ostpreußen. Beim Startversuch, am 6. Oktober 1932, zu dem viel Politprominenz gekommen war, endete in einer gewaltigen Explosion. Noch am Boden explodierte die HW-2 und wurde ca. 15 m hoch in die Luft geschleudert. Nach diesem Misserfolg ging die Presse nicht sanft mit Winkler um. Das nahm ihm den letzten Mut. Winkler ging wieder nach Dessau zurück und nahm seine Arbeiten bei den Junkers-Werken wieder auf.

Sein Assistent, Rolf Engel, baute im Dezember 1932 mit Unterstützung des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für arbeitslose Ingenieure auf, die Raketen-Versuchsanstalt Dessau. Die Gruppe hatte ihre Arbeitsräume in der Bauhaus-Schule in Dessau-Törten. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 wurde Engel jedoch wegen seiner Kontakte zu Ingenieuren in die USA und die Sowjetunion im April 1933 verhaftet. Das war das Ende der Raketen-Versuchsanstalt Dessau.

Seit Juni 2011 steht am Standort des ersten Aufstiegs einer Winkler-Rakete ein beachtlicher Gedenkstein.

Abb.: Die Flüssigkeitsrakete HW-2 im Startgestell (Foto: Horst Körner)2


Nachweise

  1. Körner, Horst (1960): Stärker als die Schwerkraft. Urania-Verlag, S. 118. ↩︎
  2. ebd. S.120. ↩︎

Literaturverzeichnis