
Die Backsteingiebel bröckeln, auf die Mauern haben Unbekannte Graffiti gesprüht und das Unkraut wuchert überall. Die Gatterhallen auf dem Wernigeröder Ochsenteichgelände sind ein Lost Place mitten in der Stadt – gleich neben der nagelneuen Lokwerkstatt der Schmalspurbahn und nur einen
Steinwurf vom historischen Rathaus entfernt. Seit Jahren stehen die historischen Hallen des früheren Sägewerks leer – ihre Zukunft ist ungewiss.
Die Geschichte des Sägewerks lässt sich bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen. Ursprünglich ließ Graf Otto zu Stolberg die Sägemühle am Ochsenteichgelände 1865 errichten.
Im Jahr 1876 erfolgte dann ein entscheidender Wandel, als die Firma J. G. Hering das Werk übernahm und das Sägewerk zu einem industriellen Dampfsägewerk erweitern ließ. Neue Maschinen, wie zum Beispiel ein Dampfkessel, wurden angeschafft oder modernisiert, um den wirtschaftlichen Anforderungen gerecht zu werden.
Im Ersten Weltkrieg traten die ersten Schwierigkeiten auf, als viele männliche Arbeiter zum Kriegsdienst einberufen wurden. Das Unternehmen war zu diesem Zeitpunkt dementsprechend auf Frauen und Kriegsgefangene angewiesen, um die Produktion aufrechtzuerhalten. Zusätzlich führte die Inflation in dieser Zeit zu finanziellen Problemen und zu sozialen Spannungen unter den Arbeitern. Im Jahr 1924 kam es zu einem vierwöchigen Streik aufgrund nicht zufriedenstellenden
Arbeitsbedingungen und unsicherer wirtschaftlicher Perspektiven.
Abb.: Genehmigungs-Urkunde des Kreisausschusses in Wernigerode v. 27.10.1892 über die Aufstellung des feststehenden Dampfkessels Nr.40 auf dem Gelände des Sägewerks J. G. Hering & Comp., Wernigerode (Jetzt Firma Harzer Sägewerke Wernigerode), (Foto: Stadtarchiv Wernigerode)
1926 zum 50-jährigen Firmenjubiläum schloss sich die Firma Hering mit den Sachsenwerken Ostermann & Co. und dem Sägewerk Goslar zusammen. Die daraus entstandene Vereinigte HarzHolzwerk Ostermann, Hering & Co. sollte durch gebündelte Ressourcen wettbewerbsfähiger werden. 1928 verkaufte Hering das Stammhaus in Königstein, und in den späten 1930er Jahren folgte vermutlich der Verkauf des Wernigeröder Betriebs.
In den folgenden Jahren hatte das Grundstück mehrere Besitzer. Die Fürstliche Kammer verkaufte das Grundstück an die Stadt, welche das Objekt an die Firma Harzer Sägewerk Brecht, Klages, Niewerth & Ohnesorg verkaufte.
Zwischen 1938 und 1939, vermutlich im Herbst 1939, gab es eine schwerwiegende Kesselexplosion, die dazu führte, dass Berichten nach ein bis zwei Menschen starben. Nach der Kesselexplosion wurde das Gebäude wiederaufgebaut. „Das Sägewerk, das vorher einen abgewirtschafteten Eindruck gemacht hatte, wurde größer und besser wieder aufgebaut.“1
Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zur Enteignung des Unternehmens. Am 19. November 1948 wurde die Enteignungsurkunde versendet, die privaten Gesellschafter wurden jedoch bereits seit Oktober 1946 von jeglichem Einfluss auf den Geschäftsbetrieb ausgeschlossen. In der DDR-Zeit war das Sägewerk am Ochsenteich einer von drei Betrieben, die zum Kombinat Vereinigte Holzindustrie Nordharz gehörten.
Nach der Wende scheiterten die Nachfahren der Alteigentümer mit ihrem Antrag auf Rückübertragung der Firma vor Gericht. Das Verfahren zog sich bis 1997 hin. Die Stadt Wernigerode
kaufte am 16. Februar 1998 das Grundstück von der Liegenschaftsgesellschaft in Magdeburg.
Das Ziel: die Brachfläche im Herzen der Stadt beleben. Für die Umnutzung des Geländes wurden zahlreiche Pläne geschmiedet. Zum Beispiel waren ein Einkaufscenter, ein neues Wohnviertel und ein Erlebnispark im Gespräch, jedoch wurde nichts davon realisiert. Lediglich die Lokwerkstatt der Harzer
Schmalspurbahnen wurde auf einem Teil des Ochsenteichgeländes, gleich neben den Gatterhallen, errichtet.
Die historischen Gebäude verfielen zusehends. Ende 2022 wurde das Dach des damaligen Sägewerks aus Sicherheitsgründen abgerissen. Ein kompletter Abriss der denkmalgeschützten Hallen war seinerzeit nicht möglich, doch angesichts des fortschreitenden Niedergangs ist das mittlerweile kein Tabu mehr. „Dem zerfallenen, aber immer noch unter Denkmalschutz stehenden Gebäude droht früher oder später der Abriss“2, hieß es in einem Zeitungsbericht im März 2025.
Abb.: Die Gatterhallen umgeben von Bauzäunen, 2025 (Foto: Ivayla Pavlova)
