
Die Schleusentreppe Wüsteneutzsch war als zentrales Element des Elster-Saale-Kanals geplant, der die Verbindung von Leipzig zur Saale und weiter zur Elbe ermöglichen sollte. Dieser Abschnitt wird auch als der Südflügel des Mittellandkanals bezeichnet.
Der Bau erfolgte für Schiffe bis 1000 Tonnen. Die Arbeiten an der Schleusentreppe wurden der Arbeitsgemeinschaft Schleusentreppe Wüsteneutzsch, bestehend aus der Philipp Holzmann A.G. und Peter Büscher & Sohn, übertragen. Der Bauabschnitt umfasste die Bewegung von 1.050.000 m³ Boden, den Einsatz von 140.000 m³ Dichtungston, 80.000 m³ Kies für die Ufersicherung sowie 80.000 m³ Beton für die Schleusenbauwerke und 20.000 m³ Beton für die Nebenanlagen.
Im Kontext des Extraktivismus offenbart dieses Bauprojekt exemplarisch den zeitgenössischen Umgang mit natürlichen Ressourcen. Die Umgestaltung der Landschaft erfolgte primär im Dienste wirtschaftlicher und industrieller Interessen. Diese Perspektive wird von Friedrich von Borries betont:
„Und so spiegelt sich in vielen Betonbauten die angestrebte ‚Herrschaft über die Naturkräfte‘ wieder, die 1928 der Architekt, Stadtplaner und späterer Bauhausmeister Ludwig Hilbersmeier dem Baumaterial voller Begeisterung in seinem Buch Beton als Gestalter zuschrieb. Beton war der perfekte Erfüllungsgehilfe des prometheischen Selbstverständnisses der Moderne- was sich an Bauten wie Staudämmen, Sperrwerken und Kanalisierungen ablesen lässt. Der billige und zugleich unverwüstliche Stahlbeton versprach, die Natur endlich umfassend zu bändigen und den Bedürfnissen der Menschen zu unterwerfen.“1
Abb.: Die obere Schleuse (Foto: Landesarchiv Sachsen-Anhalt)2
Heute wissen wir das eine Vielzahl von Stahlbetonkonstruktionen nur eine Lebensdauer von maximal fünfzig Jahren aufweist, was im Vergleich zu anderen bedeutenden Baustoffen eine der kürzesten Nutzungsdauern darstellt.
Die Philipp Holzmann A.G. gehörte in dieser Zeit zu den führenden deutschen Bauunternehmen und war an zahlreichen Infrastrukturprojekten beteiligt. Bereits in der Weimarer Republik im Großanlagenbau tätig, profitierte das Unternehmen während des Nationalsozialismus von staatlichen Aufträgen auch im Rahmen der sogenannten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Neben dem Kanalbau war die Firma an der Errichtung von Autobahnen und militärischen Anlagen beteiligt.
Der Bau des Kanals stieß auf erheblichen Widerstand seitens der betroffenen Grundbesitzer. Dokumente aus den Jahren 1934 bis 1941 zeigen, dass Landwirte, Mühlenbesitzer und Gemeinden Einsprüche gegen die Enteignungen erhoben. Einige der Einwendungen lauteten:
„Die vollständige Hergabe der Parzellen 93 und 94 trifft mich besonders hart… Ich befürchte eine Schädigung meines Anwesens durch Erhöhung des Grundwasserspiegels infolge des Kanalbaus.“3
„Sowohl auf den Hoch- und Hangflächen, als auch in der Aue sollen durch den Kanal wertvollste Ackerflächen enteignet werden.“4
Diese Sorgen lassen sich im Lichte von Goethes Faust II (1831), welcher ein düsteres Bild des Fortschritts zeichnet, interpretieren. Staudämme und Kanäle stehen Sinnbildlich für die industrielle Revolution – jedoch erkauft mit Menschenleben. Um die Gunst des Kaisers zu sichern, treibt Faust mit Mephistos Hilfe gigantische Bauprojekte voran.[6] Kritisch betrachtet dies die greise Baucis:
„Menschenopfer mussten bluten,
Nachts erscholl des Jammers Qual,
Meerab flossen Feuergluten,
Morgens war es ein Kanal.“5
Am Ende fallen sie und ihr Gemahl Philemon dem rücksichtslosen Fortschritt zum Opfer – als unnütze Wesen beseitigt, stehen sie stellvertretend für jene, die im Streben nach Macht und Fortschritt keinen Platz mehr finden.
Die Unterhaltungsgenossenschaft Creypau-Trebnitz-Kriegsdorf argumentierte, dass die wirtschaftlichen Bedenken sich erst mit den Mitteln der sogenannten Arbeitsbeschaffung auflösten und so den Bau ermöglichten. Hinweise in den Bilanzen der Arbeitsgemeinschaft Schleusentreppe Wüsteneutzsch vom 31. Dezember 1941 belegen die Rückstellungen und Nachforderungen von Kriegsgefangenenlöhnen, was auf den Einsatz von Zwangsarbeit hindeutet.
Die Arbeiten wurden 1943 auf Anordnung der Regierung eingestellt, die Baustelle stillgelegt und Arbeitskräfte abgezogen.
Beton spielte eine zentrale Rolle beim Bau der Schleusentreppe. Insgesamt wurden 100.000 m³ Beton verbaut. Trotz seiner Vielseitigkeit und Wirtschaftlichkeit weist Beton eine problematische Umweltbilanz auf. Er ist für vier bis acht Prozent der CO2- Emissionen weltweit verantwortlich. Und auch das was lange als sein Vorteil galt, erkennen wir heute als Nachteil, er ist so gut wie nicht recyclebar. Was einmal aus Beton gebaut wurde steht lange. Im Falle der Schleusenruine in Wüsteneutzsch seit nunmehr 82 Jahren. Und sie steht nur exemplarisch für ein viel größeres Problem:
„Wenn man […] in Betracht zieht, dass in hundert Millionen Jahren die geologische Schicht, die der Menscheitsepoche entsprechen wird, noch am Beton und am verrosteten Stahl erkennbar sein wird.“6
So bleibt die Schleusentreppe Wüsteneutzsch nicht nur ein Symbol vergangener Technikbegeisterung, sondern auch eine Mahnung an die ökologischen und sozialen Folgen des ungezügelten Fortschritts.
Abb.: Das Pumpleitungsgerüst und die Kammermauer-Schalung (Foto: Landesarchiv Sachsen-Anhalt)7

Nachweise
- von Borries, Friedrich (2024): Architektur im Anthropozän. Eine Spekulative Archäologie. Suhrkamp Verlag AG: Berlin. S. 52. ↩︎
- Abteilung Merseburg: I 582, Nr. 123. ↩︎
- Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Merseburg: C 48 IV, Nr. 900: Henning, 23. November 1934. ↩︎
- Ebd. Gemeinde Wüsteneutzsch, 23. November 1934. ↩︎
- von Goethe, Johann Wolfgang (1978): Faust. Der Tragödie zweiter Teil. Verlag Philipp Reclam: Leipzig. Verse 11127-11130, S. 214. ↩︎
- Jappe, Anselm (2023): Beton. Massenkonstruktionswaffe des Kapitalismus. mandelbaum Verlag: Berlin. S. 77. ↩︎
- Abteilung Merseburg: I 582, Nr. 123. ↩︎