Kategorien
Textbeitrag

Die Edelsteinfabrik in Bitterfeld

Ein Beitrag von Günter Matter

Bitterfeld war auch die Stadt der Edelsteine. Von 1910 bis 1990 fertigten die Elektrochemischen Werke synthetische Edelsteine.

Ein begehrtes Erzeugnis des Chemiekombinat Bitterfeld (CKB) stellten die hier bis 1989 gefertigten synthetische Edelsteine dar. Ein großer Teil der Rohlinge wurde in der Schmuck- und Uhrenindustrie verwendet.

Doch wie kam die Edelsteinfertigung ausgerechnet nach Bitterfeld?

1890 hatte der französische Chemiker Auguste Verneuil (1856-1913) in Paris die theoretischen Grundlagen für die Korund-Synthese, also Produktion künstlicher Edelsteine erarbeitet. Verneuil war nicht der Einzige, der sich für die Herstellung künstlicher Edelsteine interessierte. Der Edelsteinschleifer Hermann Wild (1860-1938) führte 1900 in seiner Alchimistenküche in Idar-Oberstein erste konkrete Versuche zur Herstellung von Korunden durch. In Zusammenarbeit mit Adolf Miethe (1862-1927) von der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg konnte er ausreichend große rissfreie Steine herstellen. Dabei erhitzte er mit Hilfe einer Wasserstoff-Sauerstoff-Flamme (Knallgasflamme) reine Tonerde bis über den Schmelzpunkt von 2.050 °C hinaus und brachte die geschmolzene Masse zur Kristallisation. Durch die Zugabe von Chromoxid nahm das entstehende Korunds eine rosa bis rote Farbe an. So erhielt er im Zuge seiner Versuche rubinähnliche Steine.

Hermann Miethe wandte sich 1906 an den Geschäftsinhaber der Berliner Handels-Gesellschaft (BHG), Walther Rathenau (1867-1922), (s)eine Edelsteinfertigung zu finanzieren. Die für das Befeuern der Knallgasflamme benötigten großen Mengen an Wasserstoff waren in den Elektrolyse-Anlagen der Elektrochemischen Werke (ECW) in Bitterfeld, deren Vorstand Rathenau war, reichlich vorhanden, weil sie das Nebenprodukt der hier bereits stattfindenden Alkali-Elektrolyse waren. Die Edelsteinproduktion fügte sich also in das Profil des Werkes als Großverbraucher des Nebenproduktes gut ein. Deshalb stellte Rathenau das angefragte Grundkapital bereit und legte damit den Grundstein einer Erfolgsgeschichte.

Bereits 1911 konnte die ECW Steine monatlich durchschnittlich 85.000 Karat (17 kg) an schweizerische, italienische und französische Abnehmer verkaufen.1 Die Bitterfelder Edelsteinfabrik war eine der kleinsten Betriebe des Bitterfelder Werke. Sie fügte sich aber in das Profil des Werkes gut ein, da sie ein Großverbraucher von Wasserstoff war, der bei der Alkali-Elektrolyse im Werk in großen Mengen anfiel. Nach kurzer Zeit wurden jährlich Steine im Wert von 6 Millionen Karat hergestellt.Es gelang den Forschern aus Tonerde und wenigen mineralischen Zusatzstoffen, die Herstellung vieler farbiger Edelsteine

Alle Rohstoffe waren leicht zu beschaffen. Die Edelstein-Rohlinge nach dem Wild-Miethe-Verneuil-Verfahren wuchsen in kleinen Brennöfen. Eine Dosiereinrichtung führte dem Brennofen ein hochreines pulverförmiges Material (Al2O3) und geringe Mengen färbender Oxide zu. Das Rohmaterial wurde geschmolzen und Schicht für Schicht an einem Kristallkeim zum Erstarren gebracht. Die so gezüchteten Kristalle waren birnenförmig und hatten eine Länge von ca. 20 bis 50 mm, einen Durchmesser von 12 bis 20 mm und eine Masse von 25 bis 50 g.

Abb.: In Bitterfeld gefertigte synthetische Edelstein-Rohlinge, rechts: Farbskala geschliffener synthetischer Steine, 1977 (Foto: Heiner Vollstädt)

Als das ECW die Steine auf den Markt brachte, entbrannte ein großer Rechtsstreit in der Schmuckindustrie, dessen Kern die Frage war, wie man die in Bitterfeld hergestellten Edelsteine eigentlich nennen sollte bzw. konnte. Die Berliner Handelskammer empfahl den Ausdruck künstliche Edelsteine bzw. Kunstrubine und Kunstsaphire und wollte die Bezeichnung synthetische Edelsteine verbieten lassen. Dem widersprach der Bitterfelder Direktor Fritz Rothe (1867-1958) vehement. Er schrieb 1913, dass die Bitterfelder Steine identische, mit gleichen Eigenschaften versehene Nachbildungen der natürlichen Steine sind und durch eine chemische Synthese entstehen.2 Schließlich setzte sich der Begriff synthetische Edelsteine durch.

Die Herstellung von Smaragden wollte trotz allem Wissen um die Zusammensetzung der natürlichen Smaragde (Al2Be3[Si6O18]) zunächst nicht gelingen. Nach zehnjähriger Forschungsarbeit gelang Hermann Espig (1895–1969) schließlich im Jahr 1934 die Synthese von Smaragden. Die erstmals hergestellten, schleifwürdigen und synthetischen Smaragdkristalle waren jedoch preislich nicht wettbewerbsfähig. Die Produktion von Smaragden (ein Smaragd von ca. 30 mm Länge bildete sich in 8 bis 10 Monaten) wurde 1942 eingestellt. Erst 1960 veröffentlichte Hermann Espig das bis dahin geheim gehaltene Verfahren zur Smaragd-Herstellung.3

Die Produktionsmengen an produzierten Edelsteinen waren recht beachtlich. In Bitterfeld wurde 1932 ein Drittel des gesamten Weltbedarfs an synthetischen Roh-Edelsteinen hergestellt. Eine Edelstein-Schleiferei wurde erst nach 1945 eingerichtet. Im Edelsteinbetrieb des CKB wurden 1969 ca. 10.000 kg Rohsteine hergestellt.4 Am 30. Juni 1990 wurde die Edelsteinproduktion in Bitterfeld aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt.5 Heute können Muster der Erzeugnisse aus der Bitterfelder Edelstein-Produktion im Stadtmuseum in Bitterfeld besichtigt werden.


Nachweise

  1. Bank, Hermann: Über die einstigen Verbindungen zwischen Idar-Oberstein und Bitterfeld, der beiden Edelstein-Metropolen Deutschlands. In: Beiträge zur Bitterfeld-Wolfener Industriegeschichte. Heft 3, S. 54 ff. ↩︎
  2. Rothe, Fritz (1913): Zur Handelsbezeichnung synthetischer Steine. Goldschmiedekunst. Nr. 26, S. 379 ff. ↩︎
  3. Espig, Hermann (1960): Die Synthese des Smaragds. Chem. Techn. S. 327 ff. ↩︎
  4. LHASA MER, EKB-SAG 5172. ↩︎
  5. persönliche Mitteilung an Günter Matter von Klaus-Dieter Heinrich (letzter Betriebsleiter des Edelstein-Betriebes): 2025. ↩︎