
Die Farbenfabrik Wolfen war vor allem als Hersteller von Farbstoffen für die Textilindustrie bekannt. 1942 wurde sie mit der Herstellung des Antibiotikums Prontosil zum Pharmaproduzenten.
In der Antike wurden Naturprodukte und Essig zur Eindämmung von bakteriellen Infektionen verwendet. Damit jedoch konnte nicht der Ausbruch von Epidemien verhindert werden.
So starben zwischen 1347 und 1353 25 Millionen Menschen an der durch das Bakterium Yersinia pestis ausglösten Pest-Pandemie, etwa ein Drittel der Weltbevölkerung. 1893 isolierte Bartolomeo Gosio aus dem Schimmelpilz der Gattung Penicillin die Mycophenolsäure und erreichte damit, das Wachstum des Milzbranderregers zu verringern. Welche Substanz für die antibakterielle Wirkung verantwortlich war blieb vorerst im Dunkeln.
Erst 1928 isolierte der Schotte Alexander Flemming (1881-1955) die wirksame Substanz, klärte die chemische Struktur auf und synthetisierte die Chemikalie, die als Penicillin bekannt wurde. 1941 begann in Großbritannien die industrielle Herstellung.
1910 führte Paul Ehrlich (1894-1972) mit dem Arsphenamin das erste synthetisch hergestellte Antibiotikum zur Behandlung von bakteriellen Infektionen ein. Das Medikament, ein Arsenpräparat, wirkte ausschließlich auf die Bakterien der Klasse Spirochäten und erlaubte nur eine wirksame Therapie gegen Syphilis. Es war also ein Schmalspektrum-Antibiotikum. Die Nebenwirkungen reichten von Übelkeit, Fieber, Atemnot bis hin zu Nierenschäden.
Abb.: Gerhard Domagk und sein Prontosil, Tabletten und Impfstoff (Foto: Archiv der Bayer AG)
In den 1920er Jahren starben in Deutschland 2.000-3.000 Mütter an Kindbettfieber, hervorgerufen durch bakterielle Infektionen. Auch Krankheiten wie Scharlach und rheumatische Erkrankungen hatten ihre Ursachen in bakteriellen Infektionen.
Die Zunahme von durch Bakterien verursachten Krankheiten war der Anlass der Bayer AG in Wuppertal Elberfeld, nunmehr verstärkt an der Entwicklung chemotherapeutischer Antibiotika-Präparate zu forschen.
Zur Testung der Wirksamkeit chemischer Substanzen auf antibakterielle Wirksamkeit stellte Bayer 1927 den Bakteriologen Gerhard Domagk (1895-1965) ein. Im brandenburgischen Lagow – heute zu Polen gehörend – geboren, hatte er sich zuvor an der Universität Greifswald mit bakteriell verursachten Infektionen befasst.
1932 synthetisierten die Bayer-Chemiker Mietzsch und Klarer den Azofarbstoff Sulfamidochrysoidin, der zwar zum Färben von Textilien kaum Bedeutung erlangte, aber als Prontosil Pharmaziegeschichte schreiben sollte. 1932 fand Gerhard Domagk bei Versuchen mit an Streptokokken infizierten Mäusen, dass die Nager, denen man den Farbstoff verabreicht hatte, bakterienfrei wurden.1935 wurde die Entdeckung erstmals publiziert. Bei weiteren Forschungen stellte sich heraus, dass die Chemikalie auch gegen Staphylokokken, Kolibakterien und weitere Bakterien mit Erfolg eingesetzt werden kann. Damit war die breite Anwendbarkeit des ersten Antibiotikums auf Basis der Sulfanamide nachgewiesen worden. Domagk`s erste Testperson war seine Tochter, die 1934 an Streptokokken erkrankt war. Ohne Erfahrungen über eventuelle Nebenwirkungen verabreichte der verzweifelte Domagk ihr das Präparat und heilte sie von der heimtückischen Krankheit.
Schließlich klärte er den Wirkungsmechanismus auf und fand, dass die Azofarbstoffe im Körper zu Sulfonamiden, den eigentlich wirksamen Substanzen, abgebaut werden.
1936 erschien das Medikament unter dem Handelsnahmen Prontosil auf dem Markt. Für die Entwicklung des Medikamentes erhielt der I. G. Farbenkonzern auf der Pariser Weltausstellung 1937 einen Grand Prix.
Gerhard Domagk wurde 1939 der Nobelpreis für Medizin verliehen, dessen Entgegennahme ihm das Naziregime verwehrte. Erst 1947 konnte er die Ehrung aus den Händen des schwedischen Königs in Empfang nehmen, allerdings ohne das damit verbundene Preisgeld.
Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges stieg der Bedarf an Prontosil, insbesondere zur Therapie von verwundeten Soldaten, an. Das ab 1941 in Großbritannien industriell hergestellte Penicillin war im Zweiten Weltkrieg in Deutschland kaum erhältlich. Zwar hatte die Firma Schott in Jena ab etwa 1941 geringe Mengen Penicillin hergestellt, allerdings ohne den Bedarf auch nur annähernd decken zu können.
Das Naziregime war bestrebt, an mehreren Standorten kriegswichtige Erzeugnisse herzustellen, um das Risiko des völligen Zusammenbruchs der Produktion bei Zerstörung von Anlagen zu reduzieren. So wurde ein geeigneter zweiter Produktionsstandort gesucht. Mit den Erfahrungen bei der Produktion von Azofarbstoffen waren in der Farbenfabrik Wolfen beste Voraussetzungen zur Herstellung des Prontosils vorhanden.
Anfang der 1940er Jahre lief die Herstellung des Medikamentes in der Farbenfabrik an.
Gerhard Domagk wurde auf vielfältige Weise geehrt, u.a. tragen in Bad Berka und Wuppertal Straßen seinen Namen.
Abb.: Überreichung des Nobelpreises für Medizin durch den schwedischen König Gustav 1947 an G. Domagk (Foto: Wikipedia)

Nachweise
- Den Bakterien auf der Spur, Ingenieurnachrichten, Zeitschrift für Wirtschaft, Wissenschaft und Technik, Hrsg, Verein der Ingeniure und Techniker in Thüringen e.V., Heft 6/2024, S. 19.
- Ehrhard Finger, Die Farbenfabrik wird ein Pharmaproduzent, Buch 130 Jahre Chemiestandort Bitterfeld, historische Aufsätze zum ältesten ChemiePark Deutschlands, Hrsg. ChemieParkBitterfeld-Wolfen, 2024, S.152-155.